INSA-Sprachumfrage 2019/20 (Teil 6): Was bedroht die deutsche Sprache?

INSA-Befragung zur deutschen Sprache 2019/20: Wie denkt Deutschland über die deutsche Sprache?

Wenn laut INSA fast zwei Drittel der Deutschen der Meinung sind, die deutsche Sprache verkomme zunehmend, dann stellt sich die Frage: Woran liegt das? Das wollte auch die Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache wissen. Also stellten die Meinungsforscher von INSA in ihrer Befragung vom November 2019 mehrere Möglichkeiten zur Auswahl und fragten, welche Erscheinungen für die deutsche Sprache derzeit für schädlich gehalten werden (siehe Grafik). Dabei sind nur zwei Prozent der Ansicht, daß es nichts gibt, was der deutschen Sprache schadet.

Für manchen sicher überraschend setzten die Befragten nicht etwa die Amerikanisierung der deutschen Sprache oder die geschlechterbetonte Sprache, auch „Genderdeutsch“ genannt, an die Spitze. Statt dessen findet sich auf dem ersten Platz die Klage über reduzierte Sprechweisen, also Sprachminderleistungen wie „Geh ich Fußballplatz“. Dieses sogenannte „Kiezdeutsch“, das manche Sprachwissenschaftler sogar als neue Varietät der deutschen Sprache feiern, finden 57 Prozent schädlich.

Stammelsprache „Kiezdeutsch“ am schädlichsten

Zwar belehrte die Germanistin Heike Wiese bereits 2012 die Leser des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, daß es sich bei den „Besonderheiten“ von Kiezdeutsch „nicht um sprachliche Fehler, sondern um systematische Neuerungen in Grammatik, Wortschatz und Aussprache“ handele. Ein „neuer Dialekt, der das Deutsche bereichert“, sei entstanden, freute sie sich. Allerdings will ihr die Bevölkerung offenbar nicht in ihrer Begeisterung folgen. Dabei sind dieser Ansicht mehr Frauen (63 Prozent) als Männer (51 Prozent).

Den zweitgrößten Schaden richtet laut dem INSA-Meinungstrend das allgemein sinkende Bildungsniveau an. Ebenfalls sieht hier nämlich eine Mehrheit (51 Prozent – 55 Prozent der Frauen, 48 Prozent der Männer) ein Problem. Dieses reicht noch tiefer als die aktuelle Schul- und Bildungspolitik, die lediglich 24 Prozent für schädlich halten. Doch fängt es im Deutschunterricht schon an. Bildungskritiker wie Josef Kraus können sich daher bestätigt sehen. Bereits 2011 forderte der damalige Präsident des Deutschen Lehrerverbandes in seiner Schrift „Bildung geht nur mit Anstrengung“: „Wir brauchen eine Offensive für das Schulfach Deutsch. Keine andere Nation geht schulisch so gleichgültig mit der eigenen Muttersprache um wie die deutsche.“

73 Prozent für die Schreibschrift

Daß dazu nach wie vor auch das Erlernen einer Schreibschrift gehört, glaubt eine überwältigende Mehrheit, denn 73 Prozent der Befragten stimmen der folgenden These zu: „Alle Grundschüler in Deutschland sollten verbindlich sowohl Druck- als auch eine Schreibschrift lernen.“ Nur 14 Prozent lehnen dies ab. Allerdings sind von den 18- bis 29jährigen nur noch 58 Prozent von der Schreibschrift überzeugt, bei den Auslandsstämmigen sind es 63 Prozent.

Allgemeine Verrohung der deutschen Sprache

Was schadet noch der deutschen Sprache? An dritter Stelle nannten die Befragten mit 45 Prozent die allgemeine Verrohung der deutschen Sprache. Sie bestätigen damit den Befund des Bayerischen Lehrerverbands BLLV von 2016: „Wir erleben eine Aggressivität, eine Sprache des Hasses, der Geringschätzung und Diskriminierung, persönliche Beleidigungen, bewußte Kränkungen und Ausgrenzung in Wort und Handeln. Diese Verrohung des Umgangs miteinander wirkt sich auch auf unsere Kinder und Jugendlichen aus.“ Daß so viele diese Einschätzung offenbar teilen, ist ein alarmierendes Zeichen.

60 Prozent sagen: Zu viel Englisch in der deutschen Sprache

Erst an vierter Stelle folgt die „Amerikanisierung/Anglisierung der Sprache“. Doch immer noch 44 Prozent der Befragten sehen hier einen schädlichen Einfluß. Im Osten der Republik sind noch mehr dieser Ansicht (51 Prozent) als im Westen (42 Prozent). Nachgehakt, wie die Befragten zu bestimmten Thesen stehen, entsteht ein noch deutlicheres Bild. „Es haben zu viele englische Begriffe Einzug in die deutsche Sprache gehalten“: Dieser These stimmen 60 Prozent zu (ohne ausländische Wurzeln 64 Prozent), nur 27 Prozent verneinen dies. Besonders hoch ist erwartungsgemäß die Zustimmung in der Altersgruppe der über 60jährigen (73 Prozent), besonders gering in der Gruppe der 18- bis 29jährigen. Allein in der jüngsten Altersgruppe lehnen diese These mehr ab (43 Prozent) als ihr zustimmen (36 Prozent). Doch bereits ab 30 Jahren kippt das Verhältnis: 50 Prozent der 30- bis 39jährigen stimmen zu, 35 Prozent lehnen ab.

Englisch als Amtssprache? Nein danke!

Die Partei, die Englisch als Amtssprache in Deutschland am häufigsten fordert, ist die FDP. „Wir Freie Demokraten wollen Englisch als ergänzende Verkehrs- und Arbeitssprache in der öffentlichen Verwaltung erproben“, hieß es etwa im FDP-Programm zur jüngsten Bundestagswahl. Damit stellt sie sich gegen ihre eigene Wählerschaft, denn 61,5 Prozent ihrer Wähler lehnen das ab, nur 26,5 Prozent sind dafür. Am stärksten dagegen sind die Wähler der Linken (66,8 Prozent) und der AfD (67,2 Prozent). Insgesamt sprechen sich in der INSA-Befragung 59 Prozent gegen Englisch als zusätzliche Amtssprache aus, immerhin ein Viertel (26 Prozent) sind dafür. Der Anteil der Befürworter mit ausländischen Wurzeln liegt sogar bei 35 Prozent.

58 Prozent sagen Ja zur Gleichberechtigung in der EU

Als Arbeitssprache innerhalb der Behörden der Europäischen Union dient fast ausschließlich Englisch. Daran dürfte auch der Austritt Großbritanniens wenig ändern. Eine Ausnahme stellt lediglich das Europaparlament dar. Vor allem durch die EU-Kommission wird die deutsche Sprache diskriminiert. Die Deutschen sind damit nicht einverstanden. „Deutsch sollte mit Englisch und Französisch auf allen Ebenen der Europäischen Union gleichberechtigte Arbeitssprache sein.“ Dieser Aussage stimmen 58 Prozent der Befragten zu; 21 Prozent lehnen sie ab, 21 Prozent sind unschlüssig oder machen keine Angabe. Die größte Zustimmung gibt es in Rheinland-Pfalz (67,3 Prozent), die geringste im benachbarten Saarland (33,0 Prozent). Im Vergleich zur IdS-Befragung von 1999 liegt der Anteil sowohl der Befürworter als auch der Gegner etwas höher: Damals forderten 55 Prozent eine Stärkung des Deutschen als Arbeitssprache in der EU, 16 Prozent waren dagegen, 29 Prozent unentschieden.

Über die INSA-Befragung zur deutschen Sprache 2019/20

Das Erfurter Institut INSA-CONSULERE GmbH hat eine repräsentative Meinungsumfrage zur deutschen Sprache durchgeführt. Im Auftrag der Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache befragte es im November 2019 mit Hilfe des INSA-Meinungstrends 2.079 Personen ab 18 Jahren ausführlich, was die Bevölkerung in Deutschland über die deutsche Sprache und ihre Entwicklung denkt. Der DEUTSCHEN SPRACHWELT liegen die Ergebnisse vor. Diese leisten einen wertvollen wissenschaftlichen Beitrag in der Debatte über die Zukunft der deutschen Sprache. Die Ergebnisse werden an dieser Stelle nach und nach veröffentlicht. Sie sind auch in der Druckausgabe der DEUTSCHEN SPRACHWELT (DSW 78, Winter 2019/20) nachzulesen, die wir kostenfrei zuschicken.

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