Der Postillon, Académie française, unbekannter Deutschlehrer

Sprachwitz gewinnt

Ein Satiremagazin erhielt die meisten Stimmen bei der Wahl der Sprachwahrer des Jahres 2017. „Der Postillon“ setzte sich deutlich mit knapp der Hälfte der Stimmen durch (47,2 Prozent). Dahinter folgt auf Platz 2 die Académie française (16,1 Prozent). Die Sprachakademie hat eine Abkehr der französischen Politik von unverständlichen Gender-Schreibweisen eingeleitet. Damit gibt sie Deutschland ein Vorbild (siehe DSW 70, Seite 6). Platz 3 nimmt der „unbekannte Deutschlehrer“ ein (13,4 Prozent). Er steht stellvertretend für all die Männer und Frauen, denen der Beruf eine Berufung ist, und die sich nicht damit zufrieden geben, Dienst nach Vorschrift zu machen, sondern mit Herzblut Tag für Tag ihre Schüler für die deutsche Sprache zu begeistern versuchen. Dicht dahinter kommt die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann mit 12,1 Prozent auf Platz 4. Sie hat in ihrem Land das Experiment beendet, die Schreibschrift abzuschaffen, und sich statt dessen für die Erhaltung dieses Kulturgutes eingesetzt.

Platz 1: Der Postillon (47,2 Prozent)

Es ist schwierig, keine Satire zu schreiben. Das wußte bereits der römische Satiriker Juvenal. Für Stefan Sichermann ist dies besonders schwierig. Seit mittlerweile zehn Jahren betreibt er daher im Netz das Satiremagazin „Der Postillon“ (nach offizieller Angabe seit 1845 …) – mit wachsendem Erfolg. „Neun von zehn Schülern schreiben ‚Rentner‘ verkehrt herum“; „Feministinnen fordern Umbenennung von Mannheim in Menschheim“ – Mit solchen Schlagzeilen hat „Der Postillon“ bereits mehr als eine Million Leser gewonnen.

Längst schreibt Sichermann nicht mehr allein die satirischen Beiträge, die im Stil von Zeitungsberichten und Agenturmeldungen verfaßt sind. Die mehrköpfige Redaktion des Satiremagazins versteht ihr Sprachhandwerk meisterhaft. Sie veröffentlicht sprachkritische Meldungen, die so verrückt sind, daß sie schon wieder wahr sein könnten. Auf diese Weise macht „Der Postillon“ auf sprachpolitische Fehlentwicklungen aufmerksam und regt zum Nachdenken über den Sprachgebrauch an. Auf die Meldung „Aus ‚seid‘ und ‚seit‘ wird einheitlich ‚seidt‘“ fiel sogar der Mitteldeutsche Rundfunk herein. Auch die Forderung von Männerrechtsaktivisten eines „Linguistischen Männerbunds“, aus Geschlechtergerechtigkeit eine männliche „Endung „-er“ („Bäckerer“, „Polizister“) einzuführen, hielten viele für wahr.

Gerade die Rechtschreibung ist für den „Postillon“ ein dankbares Thema, etwa wenn der amerikanische Geheimdienst NSA „fehlerhafte Rechtschreibung in deutschem E-Mail-Verkehr“ beklagt. Meldungen wie „Facebook löscht Profile mit zu vielen Rechtschreibfehlern“ rufen – je nach Bildungsgrad – Panik, Zustimmung oder Gelächter hervor. Eine weitere Postillon-Ente war die Nachricht, daß zur Vereinfachung der Rechtschreibung die Buchstaben C, J, Q, V, X, Y, Z, Ä und ß aus dem Alphabet gestrichen werden sollen. „Zuvor hatte ein Expertenrat diese neun Buchstaben als überflüssig und verzichtbar erarbeitet.“ Die Rechtschreibreformer lassen grüßen. „Eine Kürtsung des Alphabets um dreisig Protsent hat tsahlreikhe Forteile“, heiße es in einer Pressemitteilung des Bildungsministeriums, welche bereits in der neuen Rechtschreibung verfaßt sei. „Kinder lernen das ABD in Rekordtseit, Komputertastaturen werden skhlanker und die Rekhtskhreibung wird logiskh nakhfolltsiehbarer.“

„Neue Zeitform Futur III eingeführt, um Gespräche über Flughafen BER zu ermöglichen“: Solche vermeintlichen Unsinnsmeldungen vertiefen auch das grammatische Verständnis. Der Verfasser dieser Meldung zum Beispiel erklärt zunächst die Bedeutung von Futur I und II, bevor er sich dann spielerisch an einer Futur-III-Fassung versucht: „Nächstes Jahr um diese Zeit werde ich gerade meine Koffer aufgegeben hätten gehabt.“

Der „Postillon“ verweilt nicht im Belanglosen, sondern übt zwischen den Zeilen durchaus Kritik, etwa an der Bildungspolitik: „Bremen ersetzt als erstes Bundesland Schulnoten durch Emojis“. In derartigen satirischen Überzeichnungen steckt immer auch ein Körnchen Wahrheit. Dabei zitiert der „Postillon“ die Bildungssenatorin Claudia Bodegan mit den Worten: „Die Jugendlichen von heute können mit komplexen Bewertungssystemen wie dem Zahlenraum von 1 bis 6 nichts mehr anfangen, kennen aber jedes einzelne Emoji in- und auswendig.“ Damit spießt das Satiremagazin nicht nur den übertriebenen Gebrauch von internetfähigen Mobiltelefonen auf, sondern auch den Hang so mancher Kultusbürokratie zu Reformen, die lediglich von Mode und Zeitgeist, nicht aber vom Nutzen für die Schüler getrieben sind.

Daß der „Postillon“ sich dem Zeitgeist widersetzt, zeigt sich auch am Umgang mit der Diskriminierungs- und Gender-Ideologie: „Baby sagt sein erstes Wort und diskriminiert damit mehrere Minderheiten“ lautete die Überschrift einer Meldung vom Februar dieses Jahres. Offenbar habe „der kleine Elias Kühne aus Potsdam“ durch seine unbedachte Aussage „Mama“ gleich mehrere gesellschaftliche Gruppen diskriminiert oder ausgegrenzt. Der „Postillon“ nimmt hier die zeitgeistigen Moralhüter und Sprachpolizisten aufs Korn, die mit Hilfe von Einschüchterung und sozialem Druck Macht ausüben. „Inzwischen schämt sich auch Elias’ Mutter dafür, einen derart rücksichtslosen Cis-Mann zur Welt gebracht zu haben, der Menschen allein aufgrund ihres Aussehens Geschlechter und soziale Rollen zuweist.“ Gleichzeitig zeigt das Satiremagazin zwischen den Zeilen auch, wie man solchen Sprachverboten begegnen soll: „Obwohl sich inzwischen drei Babynahrungs- und zwei Windelhersteller von ihm distanziert haben, wiederholt er seine Äußerung immer wieder.“

Der Erfolg all dieser Meldungen zeigt vor allem eins: Die Deutschen beschäftigen sich eingehend mit ihrer Sprache. „Der Postillon“ verleiht der Kritik an Fehlentwicklungen eine satirische Stimme und sorgt dafür, daß das Sprachbewußtsein fortwährend geschärft wird. (dsw)

Vorgeschlagen waren:

Académie française: Die französische Sprachakademie leitete mit einem vielbeachteten Aufruf eine Abkehr der Politik von unverständlichen Gender-Schreibweisen ein und gibt damit Deutschland ein Vorbild.

John le Carré: Der englische Schriftsteller („Der Spion, der aus der Kälte kam“) rief seine Landsleute in einer Rede dazu auf, Deutsch zu lernen. Damit könne man Deutschland besser verstehen, was letztlich dem anständigen Umgang miteinander in Europa diene.

Kurt Steinmann: Der Schweizer Altphilologe übersetzte mit viel Selbstvertrauen, Sprachvermögen und Sprachgefühl nach Homers Odyssee nun auch die Ilias ins Deutsche. Nach neun Jahren Arbeit legt er eine Übersetzung vor, die den Reichtum der deutschen Sprache ausschöpft und ein würdiger Nachfolger der Übertragung von Johann Heinrich Voß von 1793 ist.

Der Postillon: Das Satiremagazin versteht es meisterhaft, vermeintlich wahre Nachrichten zu schreiben. Dabei verfaßt es immer wieder auch Meldungen zu Themen wie Rechtschreibreform, Gender-Deutsch und allgemeinem Sprachgebrauch, die so verrückt sind, daß sie schon wieder wahr sein könnten. Damit stärkt es das Sprachbewußtsein.

Aktion „Auslandsdeutsche des Jahres“: Die Internationale Medienhilfe (IMH) rief den Wettbewerb „Auslandsdeutsche des Jahres“ 2017 erstmals ins Leben. Gesucht wird eine Frau, die sich um die deutsche Sprache und Kultur im Ausland besonders verdient gemacht hat.

Der unbekannte Deutschlehrer: Wir wissen, daß es ihn gibt: Für ihn ist der Beruf eine Berufung. Er oder sie gibt sich nicht damit zufrieden, Dienst nach Vorschrift zu machen. Stellvertretend für all die Männer und Frauen, die mit Herzblut Tag für Tag ihre Schüler für die deutsche Sprache zu begeistern versuchen, schlagen wir den unbekannten Deutschlehrer vor.

Susanne Eisenmann: Die baden-württembergische Kultusministerin beendete in ihrem Land das Experiment, die Schreibschrift abzuschaffen. Statt dessen setzt sie sich für die Erhaltung des Kulturgutes ein.