Die erste „Auslandsdeutsche des Jahres“ steht fest: Die 22jährige Siegerin Viktória Nagy ist Ungarin mit deutschen Wurzeln mütterlicherseits. Ihre Vorfahren kamen mit den Zügen der Donauschwaben in der Zeit Maria Theresias (1717 bis 1780) nach Südosteuropa. Bis heute wird in ihrem Elternhaus auch Deutsch gesprochen. Sie engagiert sich in ihrer nordungarischen Heimatregion westlich von Budapest zum einen politisch in der deutschen Minderheitenselbstverwaltung, zum anderen kulturell in der Leitung einer großen donauschwäbischen Tanzgruppe. Für ihre Mittänzer organisiert sie beispielsweise Auftritte im Ausland. Um ihr sprachliches Erbe weitergeben zu können, studiert sie in Budapest das Spezialfach „Deutsch als Minderheitensprache“ auf Lehramt.
Die Internationale Medienhilfe (IMH), ein Verband der deutschsprachigen Medien im Ausland, hatte im Oktober 2017 weltweit erstmals dazu aufgerufen, sich für die Wahl zur „Auslandsdeutschen des Jahres“ zu bewerben. Daraufhin meldeten sich Frauen aus aller Welt. Vier von ihnen kamen ins Finale. Ausschlaggebend bei diesem Wettbewerb war nicht die Schönheit der Teilnehmerinnen, sondern vor allem ihr Engagement für die eigene Kultur. Im Finale konkurrierten eine Deutschbrasilianerin, eine Deutschaustralierin, eine deutschstämmige Mennonitin aus Paraguay und eine Ungarndeutsche miteinander.
Die Abstimmung lief bis zum 10. Dezember 2017. Nach der Auszählung war klar: Siegerin ist die Ungarndeutsche Viktória Nagy. Sie erhielt rund 60 Prozent der etwa 8.600 abgegebenen Stimmen aus aller Welt. Besonders viele Stimmen kamen aus Deutschland, Osteuropa, Südamerika, Nordamerika, Australien und Österreich.
Der Leiter der Internationalen Medienhilfe Björn Akstinat klärte über den Sinn und den Zweck der Aktion auf. Sie solle besonders die jüngeren weiblichen Mitglieder der deutschen Gemeinschaften und Minderheiten rund um den Globus für ihre bisherigen Aktivitäten belohnen oder für eine Mithilfe in deutschen Vereinen und sonstigen Institutionen motivieren. In vielen deutschen Vereinigungen im Ausland seien jüngere Leute noch unterrepräsentiert. Ziel des Wettbewerbs sei außerdem, in Deutschland auf die großen kulturellen Leistungen und Traditionen der Auslandsdeutschen stärker aufmerksam zu machen.
Akstinat bedauert: „Viele Bürger der Bundesrepublik wissen so gut wie nichts von den deutschen Minderheiten weltweit, da diese im Unterricht der Schulen und Hochschulen zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen kaum thematisiert werden.“ Die ungarndeutsche Studentin Viktória Nagy sei für den besonderen Titel „Auslandsdeutsche des Jahres 2017“ gut geeignet. Sie habe eine positive Vorbildfunktion für die junge Generation der deutschen Minderheiten Osteuropas. Heute leben noch über 200.000 Deutsche und Deutschstämmige in Ungarn. Mehrere Orte haben dort sogar zweisprachige Straßenschilder. Die IMH hat in Ungarn viele Mitgliedspublikationen wie zum Beispiel die wöchentliche deutschsprachige „Neue Zeitung“ aus Budapest, für die Viktória Nagy auch schon einige Artikel verfaßt hat.
Akstinat zeigte sich mit der Aktion zufrieden: „Der Wettbewerb war ein voller Erfolg und wird in Zukunft weitergeführt.“ Neben Viktória Nagy waren drei weitere Teilnehmerinnen ins Finale gekommen:
Isabel Pitz (Deutschbrasilianerin)
Die 30jährige Isabel Pitz lebt im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina, in dem die deutschstämmigen Einwanderer samt ihrer Kultur sehr auffällig sind. Deutsch ist immer noch die zweithäufigste Muttersprache Brasiliens, obwohl ihr Gebrauch lange Zeit von der Regierung unterdrückt und sogar verboten wurde. Isabels Vorfahren kamen um 1828 aus dem Hunsrück in Südwestdeutschland nach Santa Catarina und gehörten zu den Gründern der ersten deutschen Siedlungen dort. In ihrer Familie wird bis heute die Mundart aus dem Hunsrück gesprochen. Hochdeutsch hat sich Isabel selbst neu beigebracht. Sie betreibt intensiv Ahnenforschung und ist begeistert von der Kultur ihrer Vorfahren. Deshalb baute sie eine Netzpräsenz und eine Facebook-Seite unter dem Namen „Deutschbrasischland“ auf. Auf Facebook folgen ihr mittlerweile rund 50.000 Menschen, die sich regelmäßig über das Neueste in der deutsch-brasilianischen Szene informieren möchten. Außerdem beteiligt sie sich aktiv an der Arbeit eines deutschen Vereins bei der Organisation von Festen und Umzügen für Deutschbrasilianer.
Anne Mckenzie (Deutschaustralierin)
Anne Mckenzie, 34 Jahre alt, ist in der ostdeutschen Lausitz geboren. Während ihres Studiums der Fächer „Deutsch als Fremdsprache“ und „Publizistik“ in Berlin lernte sie einen Australier kennen, mit dem sie nach Südaustralien, ins Barossa-Tal bei Adelaide, auswanderte. Das Tal ist seit dem 19. Jahrhundert ein traditionelles Siedlungsgebiet deutscher Einwanderer. Sie möchte mithelfen, das deutsche Erbe der Region zu erhalten. Dafür engagiert sie sich im Sprachverein „Barossa German Language Association Inc.“ Dort bringt sie Kindern – unter anderem ihren zwei eigenen – spielerisch die deutsche Sprache näher, pflegt die Internetseite und gibt die Vereinszeitschrift „Das Blatt“ heraus. Zudem unterrichtet sie an der Schule der Deutschen Sprache e. V. in Adelaide Erwachsene.
Michaela Bergen (deutschstämmige Mennonitin aus Paraguay)
Michaela Bergen lebt in einer vor 80 Jahren gegründeten mennonitischen Kolonie und Agrarkooperative im Zentrum von Paraguay namens „Friesland“. Die Muttersprache der 38jährigen ist Plattdeutsch, weil ihre Vorfahren aus Friesland an der Nordsee stammen, wo sie sich der evangelischen Glaubensgemeinschaft von Menno Simons angeschlossen hatten. Auf der Suche nach freien religiösen Entfaltungsmöglichkeiten wanderten die Ahnen zunächst nach Rußland. Durch den Kommunismus wurde das Leben dort unerträglich, so daß sie weiterzogen – erst zurück nach Deutschland, dann nach Paraguay. Die Mennoniten bewahren seit Jahrhunderten die hochdeutsche und die plattdeutsche Sprache im Ausland als Teil ihrer Religion. Deutsch ist Umgangssprache in der Kolonie, Unterrichtssprache der dortigen Schule und die Sprache der Medien: einer Zeitschrift und eines Hörfunksenders.
Michaela Bergen half bei der Gründung des Senders und arbeitet in der Redaktion der monatlichen Zeitschrift „Friesland Informationsblatt“. 2013 begründete sie zusammen mit einem anderen Mennoniten die „Plattdeutsche Medienkonferenz“, die seitdem alle zwei Jahre an wechselnden Orten stattfindet. Zu den Treffen versammeln sich Mennoniten und Sprachinteressierte aus aller Welt, um Aktionen zur Bewahrung und Förderung der plattdeutschen Sprache im Ausland zu starten und zu koordinieren. 2017 organisierte Michaela die Konferenz in einer Mennoniten-Siedlung in Mexiko. (imh/dsw)