Es war ein Besuch mit Folgen – mit guten Folgen. Am 23. Oktober 2006 empfing der damalige Köthener Oberbürgermeister Kurt-Jürgen Zander in seinem Dienstzimmer im Rathaus vier Sprachschützer: Wolfgang Strempel, Wolfgang Hildebrandt, Hermann Neemann und Thomas Paulwitz. Es entspann sich ein fruchtbringendes Gespräch über die Möglichkeiten, Köthen zur „Stadt der deutschen Sprache“ zu machen.
Die Kokospalme galt den Fruchtbringern des 17. Jahrhunderts als Inbegriff des Nützlichen, was auch im Sinnspruch „Alles zu Nutzen“ seinen Ausdruck findet, und sollte den Mitgliedern der Gesellschaft Vorbild sein. Die Sprachschützer des Jahres 2006 schlugen in Anspielung auf dieses Symbol dem Oberbürgermeister vor, die Stadt „auf die Palme zu bringen“. Schnell stand der Entschluß fest: Die Fruchtbringende Gesellschaft sollte wiedergegründet werden und ihren Sitz erneut im anhaltischen Köthen einnehmen.
Nicht einmal einhundert Tage später, am 18. Januar 2007, war es dann soweit: In der Köthener Schloßkapelle entstand die „Neue Fruchtbringende Gesellschaft – Vereinigung zur Pflege der deutschen Sprache“. Das war eine Sternstunde, denn sofort setzte eine rege sprachpflegerische Tätigkeit ein, die bis heute andauert. Heuer feiert nun die „NFG“ ihr zehnjähriges Bestehen, während sich die Gründung der Urgesellschaft, der Fruchtbringenden Gesellschaft von 1617, sogar zum 400. Male jährt.
Zwei der vier Sprachschützer von 2006 sind mittlerweile leider verstorben, doch ihre Ideen, die sie bereits damals dem Oberbürgermeister vortrugen, leben: Jährlich finden die Köthener Sprachtage statt. Ein Haus der deutschen Sprache besteht, wirkungsvoll ergänzt um die „Erlebniswelt Deutsche Sprache“; und auch die bereits 2006 ins Gespräch gebrachte Theo-Münch-Stiftung für die Deutsche Sprache ist seit dem Jahr 2007 als verläßlicher Partner mit dabei, vor allem als Unterstützer der Erlebniswelt und des jährlichen Schülerschreibwettbewerbs „Schöne deutsche Sprache“.
Eine Idee, welche die Sprachschützer 2006 in ihrer „Power-Point“-Präsentation vorgestellt hatten, harrte jedoch lange Zeit ihrer Verwirklichung. Die Überschrift der Folie lautete damals: „In Köthen geht die Post ab.“ Darauf abgebildet war eine Briefmarke im Wert von 55 Cent, auf welcher ein Palmbaum zu sehen war und die Aufschrift „Köthen – Stadt der deutschen Sprache“ (siehe Abbildung links). Knapp elf Jahre später ist es soweit: Die Sprachschützer bekommen eine eigene Briefmarke (siehe große Abbildung ganz unten). Mit 145 Cent erhielt die neue Marke erfreulicherweise einen gängigen Wert, so daß sie sehr gut als Botschafter der Sprachpflege einzusetzen ist. Entsprechend hoch ist die Auflage: 3,75 Millionen Stück wurden gedruckt.
Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Marken ist verblüffend, obwohl der laienhafte Entwurf von 2006 den professionellen Gestaltern der Marke von 2017 nicht vorgelegen hatte: Die Berliner Grafiker Professor Annette Le Fort und Professor André Heers wählten ebenfalls die Palme als Markenzeichen und entschieden sich ebenfalls für ein helles Grün. Die Beschriftung unterscheidet sich allerdings. Nicht die Stadt Köthen steht im Vordergrund, sondern das 400. Jubiläum der Sprachgesellschaft. Die Deutsche Post hatte Köthen bereits zur 900-Jahr-Feier der Stadt im Jahr 2015 mit einem eigenen Postwertzeichen bedacht. Dieses hat mit 240 Cent freilich einen Wert, der es zur selten eingesetzten Rarität macht.
Zum Erscheinungstag am 10. August 2017 richtete die Deutsche Post im Sitzungssaal des Köthener Rathauses ein Sonderpostamt ein. Dazu gab es einen Ersttagsstempel mit dem Porträt des Fürsten Ludwig von Anhalt-Köthen (1579 bis 1650), des Gründers und ersten Vorsitzenden der Fruchtbringenden Gesellschaft. Eine Woche zuvor hatte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen, Michael Meister, das Postwertzeichen offiziell übergeben. In der Feierstunde, die in der Köthener Schloßkapelle stattfand, betonte Meister, daß die Fruchtbringende Gesellschaft „zu Unrecht verkannt“ worden sei. Die neue Briefmarke biete eine gute Möglichkeit, das zu ändern und die Bedeutung der fruchtbringenden Spracharbeit ins öffentliche Bewußtsein zurückzuholen.
Mit ihren Übersetzungen eröffneten die alten Fruchtbringer dem deutschen Lesepublikum fremde Kulturen und erweiterten durch zahlreiche Wortschöpfungen den Wortschatz der deutschen Sprache. Sie verfaßten Sprachlehrwerke, in denen sie die reichen Möglichkeiten der Wortbildung des Deutschen aufzeigten und damit den Nachweis führten, daß die deutsche Sprache alle Ausdrucksmittel einer Literatursprache besitzt. Nicht zuletzt erkannten sie die identitätsstiftende Kraft der Sprache und sahen in ihrer Spracharbeit auch ein dem Frieden dienendes Programm.
Zum Andenken an die im 17. Jahrhundert vollbrachten Leistungen der ersten deutschen Sprachpfleger wird auch die Gestaltung der Marke beitragen. Sie rückt die gelungenen Wortschöpfungen aus den Reihen der Fruchtbringer in den Vordergrund. An den Seiten links und rechts stehen Wörter, die heute aus der deutschen Sprache nicht mehr wegzudenken sind: Jahrhundert, Fernglas, Angelpunkt, Ausflug, beobachten, Weltall, Bücherei, Anschrift, Einzahl, Entwurf, Verfasser, Grundstein, Aufzug, Augenblick, Jahrbuch, Farbgebung, Leidenschaft, Schaubühne, Sprachlehre, Mundart, Zeitwort, Kreislauf, Abstand, Sinngedicht, Briefwechsel, Tagebuch, lustwandeln, Handschrift, Sinnbild, Wörterbuch, Besprechung, Jahrhundert, Vollmacht, Wahlspruch, Rückblick.
Genießen Sie diese Wörter! Unweigerlich stellt sich die Frage, warum es heute nicht möglich sein soll, ebenso schöne und nützliche Wörter zu prägen. Es muß nicht alles Englisch sein! Zum Schluß bekommen Sie eine Aufgabe: In die Marke hat sich ein Fehler eingeschlichen: Eines der Wörter kommt versehentlich doppelt vor. Entdecken Sie es?